Hinweise des VWW zum Artenfilter:
In vielen Renaturierungsprojekten stellt sich die Frage, ob der sogenannte Artenfilter im jeweiligen Fall zu berücksichtigen ist. Da dieses im Rahmen eines von der DBU geförderten Forschungsprojektes entwickelte Werkzeug inzwischen viel Unsicherheit hervorruft, möchten wir im Folgenden aufzeigen, wie es einzustufen und ggf. anzuwenden ist:
Entstehung
Der Artenfilter ist ein Hilfsmittel, um Pflanzenarten zu ermitteln, die in einem Ursprungsgebiet pauschal in Wildpflanzensaatgutmischungen eingesetzt werden können. Er wurde 2010 in einem DBU-Projekt1 entwickelt, das vor allem die Gliederung Deutschlands in Regionen für Saatguttransfers zum Ziel hatte (heute die 22 Ursprungsgebiete). Der VWW war in diesem Projekt beratend tätig, hatte aber keinen nennenswerten Einfluss auf die entwickelten Ergebnisse.
Funktionsweise
Der Artenfilter listet alle in Deutschland gesichert vorkommenden Pflanzenarten auf und prüft sie nach einem Kriterienkatalog auf Anwendbarkeit als Regiosaatgut. Werden alle 11 Kriterien als unkritisch bewertet, wird die Art als Regiosaatgut für das jeweilige Ursprungsgebiet freigegeben (Positivliste). Ist die Art als ungeeignet eingestuft, kann sie ggf. noch als naturraumbezogenes Saatgut eingesetzt werden. Die Liste ist online auf der Seite der Universität Hannover einseh- und filterbar.
Rechtliche Grundlagen und planerische Relevanz des Artenfilters
Entgegen anderslautender Behauptungen einiger Akteure auf dem Wildpflanzenmarkt ist die Anwendung der Positivlisten des Artenfilters bei der Zusammenstellung von Ansaatmischungen aus zertifiziertem gebietseigenem Wildpflanzensaatgut nicht rechtsverbindlich. Es besteht keinerlei Verknüpfung des Artenfilterns zum Bundesnaturschutzgesetz.
Der Artenfilter ist lediglich das Ergebnis eines von der DBU geförderten Forschungsprojektes. Zwar haben sich einige Fachbehörden der Bundesländer ebenso wie anfangs auch der VWW bei der Erarbeitung der Artenlisten beteiligt, daraus lässt sich jedoch kein Rechtsstatus ableiten.
Unsere Anfrage beim Bund sowie den verantwortlichen Behörden einiger Bundesländer hat ergeben, dass keinerlei Regelungen zu einer verbindlichen Anwendung des Artenfilters bestehen2.
Dennoch verwenden immer mehr Naturschutzverwaltungen den Artenfilter als alleiniges Kriterium, welche Arten in einer Mischung enthalten sein dürfen, selbst wenn es sich um eine lokal von Botanikern abgestimmte Mischung handelt.
Mittlerweile wird unseren Mitgliedern sogar die Sammlung mancher Arten mit dem Hinweis auf den Artenfilter von Unteren Naturschutzbehörden verwehrt. Obwohl das BNatSchG die günstigen Auswirkungen von Saatgut aus Wildsaatgutvermehrungen hervorhebt, wird aus Sorge, dass weniger verbreitete Arten in Standardmischungen zum Einsatz kommen könnten, eine Sammelgenehmigung verweigert. Es ist zweifelhaft, ob diese Beschränkung der Sammlung juristisch zulässig ist, da sie ja mit keiner Schädigung der Naturgüter einhergeht. Zudem wird so die Möglichkeit verhindert, gezielt Arten für kleinräumige Zwecke anzuziehen.
Fachliche Einordnung
Die dem Artenfilter zu Grunde liegende Idee, Planern und ausschreibenden Stellen ein Hilfsmittel zur Artenauswahl zur Verfügung zu stellen, ist an sich gut. Leider führen die inhomogene Datenbasis und die unklare Abgrenzung des Einsatzbereiches des Instruments zu Problemen bei der Umsetzung.
So schreiben die Autoren der DBU-Studie 2010 im Abschlussbericht zum Projekt sinngemäß:
Die Qualität der floristischen Rasterdaten aus den einzelnen Bundesländern war in Abhängigkeit von Intensität und Aktualität der floristischen Bearbeitung sehr unterschiedlich. Daraus ergaben sich bei der Erstellung der dem Artenfilter zugrunde liegenden Datenbank Probleme durch Kartierdaten auf unterschiedlichen taxonomischen Leveln (z.B. auf Aggregat-Ebene) sowie geringe Datendichte in einigen Bundesländern. In manchen Fällen sind durch diese Datenmängel Verknüpfungsfehler entstanden.
Zitat DBU-Abschlussbericht, S. 110:
„So ist es z. B. im Verlaufe der Abstimmungsprozesse mit den Fachabteilungen der zuständigen Behörden der Länder und anderen Arbeiten, die zum Projektabschluss zu leisten waren, vereinzelt zu Übertragungsirrtümern in den regionalen Listen der als Regiosaatgut und Regiopflanzgut geeigneten Arten gekommen. Solche Irrtümer müssen dringend aufgedeckt und korrigiert werden, damit das Vertrauen in das bestehende System nicht erschüttert wird. Finanzmittel stehen dafür leider nicht zur Verfügung und mit studentischen Hilfskräften ist die Aufgabe nur unzulänglich zu lösen.“
Mittlerweile ist es deutlich geworden, dass es sich bei den gefundenen Fehlern nicht um wenige Einzelfälle handelt, sondern auch wichtige verbreitete Arten aufgrund von Mängeln in der Datenbank nicht positiv gelistet sind (Bsp. Anthriscus sylvestris)3.
Ausschlusskriterien
Neben der Beseitigung von Mängeln in der Datenbasis sollte auch eine grundsätzliche Überprüfung der Ausschlusskriterien sowie ihrer Anwendung erfolgen.
- Arealflächenanteil: Die meisten Arten werden vom Filter aufgrund eines zu geringen Arealflächenanteils geblockt. Das ist immer dann der Fall, wenn weniger als 60 % aller Messtischblattviertel4 die Art im UG aufweisen. Dieses Kriterium führt maßgeblich zum Ausschluss vieler regionaler aber zumeist häufiger Arten, also genau der Arten, die Pflanzengesellschaften regional charakterisieren. Der Arealflächenanteil ist eine willkürliche Festlegung über die Stetigkeit der Verbreitung in der Fläche. Er steht inhaltlich zwischen den beiden Kriterien (1) Feststellen von Arealgrenzen und (2) der Einstufung als seltene Art (Rote-Liste-Status), die beide ebenfalls im Artenfilter geprüft werden. Er ist als zusätzliches Kriterium damit redundant und aus unserer Sicht nicht sinnvoll.
- Arealgrenze: Arealgrenzen lassen sich im Rahmen von Messtischblättern auf der vorhandenen Datenbasis nicht scharf ermitteln. Fehlende Nachweise von vorhandenen Standorten, Unsicherheiten bei der Frage, inwieweit Vorkommen anthropogen verschleppt wurden (Verkehrswege, Gärten, Ansaaten), fehlende Vorkommen aufgrund intensiver Landnutzung, ebenso wie Ausbreitungs- oder Rückgangstendenzen infolge des Klimawandels erlauben nur eine grobe Festlegung von Arealgrenzen (Toleranz 2 Messtischblätter). Vor allem Höhenlagen und ungeeignete Bodeneigenschaften sind innerhalb des Verbreitungsgebietes (im Maßstab der Ursprungsgebiete) nicht als Arealgrenze zu bewerten. Dennoch sind für viele Arten anhand der Floraweb-Daten Arealgrenzen gut erkennbar und von isolierten Vorposten zu unterscheiden. Grenzen, die dabei durch ein Ursprungsgebiet verlaufen, müssen bei der Ausbringung von Arten Berücksichtigung finden. Hierbei handelt es sich mit um das wichtigste Kriterium für die Ausbringung von Wildpflanzenarten, das bereits seit langem auch ohne den Artenfilter von unseren Mitgliedern berücksichtigt wird!
Die Anwendung von Arealgrenzen auf Messtischblatt- oder gar Gemeindeebene halten wir für eine praxisferne Vorgabe, da Pflanzen mit ihren eigenen Verbreitungsmechanismen derartige Entfernungen überbrücken können. - Rote Liste Status: Einige früher häufige Arten werden besonders in Landschaften mit intensiver Landnutzung in der Roten-Liste als gefährdet geführt (Kategorie 3). Der Artenfilter verbietet die Ausbringung solcher Arten, ignoriert damit den bisherigen Verdrängungsprozess und verfestigt das bestehende Verbreitungsdefizit. Hinzu kommt, dass dem Artenfilter teilweise mittlerweile veraltete Rote-Listen der Länder zugrunde liegen und die Grenzen der Bundesländer nicht mit denen der UG übereinstimmen. Auch wenn man die bundesweite Rote-Liste zugrunde legen würde, erfordert der Umgang mit Rote-Liste-Arten immer Einzelfallbetrachtungen, ein pauschales Instrument wie der Artenfilter ist dafür aus unserer Sicht ungeeignet.
Fazit
Unabhängig von der fachlichen Ebene ist es bisher nicht gelungen, das Projekt Artenfilter so zu kommunizieren, dass es in der Anwendung auf seinen ursprünglichen Zweck beschränkt bleibt, nämlich die Erstellung von Standardmischungen mit geringeren naturschutzfachlichen Anforderungen ohne fachlich-botanisches Hintergrundwissen. Stattdessen wird der Filter selbst bei regionalen, komplexen Ansaatvorhaben vorgeschrieben und führt dann zum Wegfall vieler typischer Pflanzenarten, die erst einen regionalen Charakter der Ansaat ermöglichen würden. Der Artenfilter wird zudem den aktuellen Anforderungen der Wiederherstellung von Habitaten zum Aufhalten des Artenschwundes nicht gerecht. Er verhindert vorbeugend jeglichen Einsatz von Arten, die potenziell als naturschutzfachlich problematisch angesehen werden könnten. Dabei werden riesige Potenziale bei der Verbesserung oder Neuanlage von Habitaten verschenkt, da jede fehlende Art auch eine Vielzahl von Insekten ausfallen lässt. Der zurzeit wohl weitreichendste ungünstige Effekt des Artenfilters ist die Vorgabe, diesen bei der Sammlung von Arten zur Weitervermehrung (Anbau) als Voraussetzung anzuwenden. Damit werden selbst Arten, die für einen eng begrenzten, regionalen Einsatz produziert werden sollen, aus dem Markt entfernt.
1 PRASSE, R., KUNZMANN, D. & SCHRÖDER, R. (2010): DBU-Abschlussbericht – Entwicklung und praktische Umsetzung naturschutzfachlicher Mindestanforderungen an einen Herkunftsnachweis für gebietseigenes Wildpflanzensaatgut krautiger Pflanzen. Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
2 Juni 2020
3 Es gibt zwar auf der Website der Uni Hannover zum Regiosaatgut- und Regiopflanzgut-Konzept eine „Ergänzungsliste“ (Stand 02/2015), in die Datenbank eingepflegt wurden die dort dokumentieren Fehler bzw. „nachverhandelten Arten“ bisher jedoch nicht.
4 Bundesweite Standardkarte im Maßstab 1:25.000